Das Risiko im Entwicklungsvertrag

Dr. Matthias Brandi-Dohrn, Rechtsanwalt

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I. Erscheinungsformen

1. Fallkonstellationen aus der Praxis

Ein Arzt und ein EDV-Techniker hatten ein Vormuster für ein medizinisches Gerät zur Messung der Knochenfestigkeit nach Brüchen (Ossometriegerät) erstellt. Ein industrieller Auftraggeber erteilte und finanzierte einen Auftrag zur Serienentwicklung mit Hilfe von eigenen Beistellungen und mit Hilfe von Subunternehmern. Die Entwicklungszeit zog sich in die Länge, weil eine geeignete elektronische Steuerung für das Ossometriegerät ausblieb. Der industrielle Auftragnehmer setzte den Entwicklern Nachfrist mit Ablehnungsandrohung nach § 326 BGB., verzichtete danach auf Erfüllung und verlangte ca. DM 500.000,- Entwicklungszahlungen als Schadensersatz zurück.

In einem anderen Fall war ein Entwicklungsauftrag für eine Gerätesteuerung in Rückstand geraten aus streitigen Gründen, für die sich die Parteien wechselseitig verantwortlich machten. Der Auftraggeber setzte eine ziemlich kurze Nachfrist, nahm dann vom Vertrag Abstand und verlangte als Schadensersatz Rückzahlung des Entwicklungsaufwandes. Der Entwickler behauptete, 2 Tage nach der gesetzten Frist habe er eine Steuerung mit allen gewünschten Funktionen vorführen können. Er verlangte Restvergütung unter Abzug geringfügiger Ersparnisse.

Und schließlich der Fall der "Unix-kompatiblen CPU-Karte": Nach Auffassung des Auftraggebers war die Entwicklung im Rückstand. Er setzt eine Nachfrist von 6 Tagen mit Ablehnungsandrohung. Nach Verlängerung um 2 Tage stellte der Entwickler ein Muster der CPU-Karte vor, das der Auftraggeber als unzureichend ablehnte. Der Auftraggeber trat vom Vertrag zurück. Der Entwickler seinerseits klagte als Abschlagszahlung in Rechnung gestellte DM 50.000,- als Teil-Restvergütung ein. Der Auftraggeber erhob Widerklage auf Rückzahlung von DM 216.000,- Anzahlung. Das LG entschied für den Entwickler, das OLG für den Auftraggeber. Der BGH entschied zwar im wesentlichen für den Entwickler, bejahte aber grundsätzlich einen Wandlungs-Rückzahlungsanspruch bei auch nur drohender und auch schuldloser Verzögerung aus § 636 BGB. In den Genuß dieser drakonischen Rechtsfolge kam der Auftraggeber im gegebenen Fall nur deshalb nicht, weil die Verzögerung gerade aus seiner Sphäre kam. Aber wäre es gerecht, die Rückzahlung der ganzen Entwicklungsvergütung nach § 636 BGB zuzusprechen, wenn die Verzögerung keinem als Verschulden zuzurechnen wäre? Die Entwicklungszahlungen hat der Entwickler ja inzwischen in Lohn und Material für das präsentierte (aber vielleicht noch unzulängliche) Muster umgesetzt.

Weitaus günstiger stand der Auftragnehmer im Fall "Organisationsberatung": Zur Einführung einer EDV für Lagerhaltung und Auftragswesen schloß der Auftraggeber mit einem Unternehmens-EDV-Berater einen Vertrag mit Tagesvergütungssätzen über die Erarbeitung und Umsetzung eines Maßnahmenplans zur Einrichtung einer von einem Dritten gelieferten EDV. Das Gericht wertete dies als Dienstvertrag ohne Erfolgshaftung, hielt aber immerhin bei derartigen Diensten höherer Art einen Verlust des Vergütungsanspruchs für möglich bei bewiesener, schuldhafter Schlechtleistung. Im gegebenen Fall war dies nicht bewiesen, und der Organisationsberater erhielt seine volle Vergütung.

Entwicklungsverträge können in einer Bandbreite vom erfolgsorientierten Werkvertrag bis zum zeitorientierten Dienstvertrag eingeordnet werden, und die Einordnung hat dramatische Konsequenzen hinsichtlich der Haftung für das Erfolgsrisiko.

2. Der klassische Werkvertrag

Jeder Werkvertrag zielt auf Entwicklung, nämlich Herstellung von etwas Neuem. Für dieses Neue trägt der Werkunternehmer in weitem Umfang das Erfolgsrisiko, bis zur Abnahme nach §§ 326, 636 BGB und nach der Abnahme für Mängelfreiheit nach §§ 633, 634, 635 BGB. Der BGH legt das Risiko dem sachkundigen Bauunternehmer auch bei nur funktionaler Leistungsbeschreibung auf, bei der sich nachträglich der Leistungsaufwand zur Erzielung der Funktion als bedeutend höher herausstellt, als vorausgeschätzt. Im Baurecht steht auch die Architektenplanung, also quasi die Organisationsberatung, unter Werkvertragsrecht. Der Architekt schuldet das mangelfreie Entstehenlassen des Baues. Aber auch im klassischen Bau-Werkvertrag hat der Bauunternehmer nicht für alle Risiken einzustehen. Das sogenannte echte Baugrundrisiko trägt der Auftraggeber.

3. Komplexer Langzeitvertrag

Umfangreiche Bauprojekte, in denen sich Einzelanforderungen über die Zeit konkretisieren und viele Kooperationspartner zusammenwirken müssen, bezeichnet Niklisch als "komplexe Langzeitverträge" und fordert für sie ein gegenüber dem klassischen Werkvertragsrecht differenziertes System der Risikoverteilung. Schneider folgt dem für den EDV-Projektvertrag. Allgemein wird für die Projektverträge die Mitwirkungsverantwortung des Auftraggebers betont. Verzögert sich der Erfolg mangels Mitwirkung, so kommt der Entwickler nicht in Verzug.

4. Entwicklungsverträge

Entwicklungsverträge allgemein sind als Vertragstypus oder Untertypus bisher nur wenig behandelt. In Handbüchern finden sich einige Vertragsmuster, die den Entwicklungsvertrag zwar überwiegend als Werkvertrag einstufen, teilweise aber die Gewährleistung für den Erfolg und die zeitgerechte Herbeiführung des Erfolgs stark modifizieren. Die BVB-Erstellung stellen sich als Werkverträge dar, gerichtet auf den Werkerfolg, nämlich funktionsfähig laufende Programme (§ 1 (1) b), § 3 (1) BVB-Erstellung) mir Erfolgsgewährleistung in § 12 BVB-Erstellung. Auch die BVB-Planung haben, abzulesen an ihrer Gewährleistungsregelung in § 10, Werkvertragscharakter.

Die Rechtsprechung wendet auf EDV-Entwicklungsverträge durchweg Werkvertragsrecht an, wenn der Entwickler selbständig ist, in selteneren Fällen Dienstvertragsrecht, dies vor allem bei betrieblich eingegliederten Entwicklern. Planungs-, Beratungs- und Unterstützungsleistungen bei der EDV-Einführung wurden als Dienstvertrag eingestuft.

5. Forschungsverträge

Vertragsmuster unter dem Titel "Forschungsverträge" sind hingegen durchweg als Dienstverträge konzipiert, unter denen nicht Erfolg, sondern nur bestes Bemühen geschuldet ist.

6. Keine klare Typenzuordnung

Der jeweilige "Entwicklungsvertrag" "Auftrag" oder "Forschungsvertrag" oder wie auch immer sonst benannt, kann irgendwo auf der Spanne zwischen klassischer Werkleistung und Dienstvertrag liegen. Wo er auf der Spanne konkret liegt, bemißt sich einmal nach der unabhängigen oder abhängigen Stellung des Entwicklers. Das wird hier nicht näher vertieft. Hier sei nur der selbständige Entwickler betrachtet. Bei ihm kommt es für die Einordnung darauf an, wie ungesichert von Haus aus der Entwicklungserfolg ist, wie beherrschbar oder nicht beherrschbar das Erfolgsrisiko ist. Dabei ist es schon die Zeitdauer des Entwicklungs- oder Projektvertrages, die Risiken mit sich bringt, besonders in EDV-Bereich wegen der sich rasch wandelnden technologischen Umgebung, z.B. neuer Hardware, auf die ein EDV-System in der Entwicklung laufend abgestimmt werden muß.

II. Die derzeit vorherrschende Regelung

1. Bei Fehlen vertraglicher Bestimmung

Wie oben gezeigt, enthalten einige der veröffentlichten Vertragsmuster Abmilderungen der werkvertraglich strengen Erfolgshaftung. Gleichwohl sind individuelle Regelungen darüber, was passiert, wenn der Erfolg ausbleibt, nicht in der Zeit, nicht mit den Kosten oder nur mangelhaft erreicht wird, oft nur in Ansätzen, nicht aber konsequent durchgeführt vorhanden. Ansätze sind die häufig anzutreffenden Milestone-Regelungen vergleichbar den Leistungsphasen in der BVB-Erstellung: die Vorstellung eines Labormusters, eines Prototypen, eines Seriengerätes, Ablieferung der Dokumentation, jeweils mit Zahlungen zu diesen Meilensteinen. Bleibt die Leistung zu einem Meilenstein aus, so berechtigt das nach Nachfristsetzung zur Beendigung, rein werkvertraglich zur Rückabwicklung nach §§ 326, 636 BGB. Besonders hart wird das dann, wenn Meilensteine fehlen, oder ein Leistungsschritt, zum Beispiel der erste zum Labormuster, besonders groß und aufwendig ist.

2. Das fallweise unpassende Werkvertragsrecht

Die bisherige Richtung der BGH-Rechtsprechung wendet das klassische Werkvertragsrecht an, ohne daß eine dezidierte Stellungnahme zu etwaigen Haftungsmilderungen im Entwicklungsvertrag abzugeben war. Striktes Werkvertragsrecht vertritt auch U. Widmer und lehnt vertragliche Milderungen auf eine Verschuldenshaftung ab.

Das Werkvertragsrecht paßt bei den klassischen Werkleistungen mit kurzfristigem Leistungsaustausch. Es paßt auch für viele Entwicklungsverträge, nämlich alle die, die kurzfristig laufen und sich in einem Bereich gut beherrschbarer Technologie und damit des generell beherrschten Risikos bewegen. Die Risikobeherrschung wird man im Bereich der Mechanik, des Maschinenbaus, der Elektronik und der EDV verhältnismäßig häufiger antreffen als bei Entwicklungen im Bereich der Chemie, Pharmazie oder Biologie, wo oft geringe Parameteränderungen unvorhersehbar über Erfolg oder Mißerfolg entscheiden. Bei den EDV-Verträgen über Änderung oder Anpassung von Standardprogrammen auf individuelle Anwenderbedürfnisse ist das Risiko meist beherrschbar, und sie bleiben im klassischen Werkvertragsrecht.

Es gibt aber auch die langfristig aufwendigen Entwicklungs- und Projektverträge, die technisches Neuland betreten und bei denen sich Hindernisse und Erschwernisse einstellen, die man ex ante nicht einkalkulieren konnte. Nach Werkvertragsrecht gilt dann vor Abnahme

Nach Abnahme gilt

Bis auf die Nachbesserung bedeutet das: Der Auftraggeber nimmt von der Erfüllung Abstand und verlangt aus Wandelung oder aus Schadensersatz den Ersatz seiner Aufwendungen, also mindestens den Werklohn. Den hat jedoch der Entwickler im allgemeinen bestimmungsgemäß verbraucht, um damit die Entwicklung voranzutreiben. Gerade bei langfristigen Entwicklungs- und Projektverträgen wird die laufende Finanzierung durch den Auftraggeber gebraucht, damit die Entwicklung mit Löhnen und Materialkosten überhaupt betrieben werden kann.

Es kommt hinzu, daß der Entwickler die bei weitem schwierigere Leistung hat als der zahlende Auftraggeber. Sie ist nicht nur schwieriger, sondern auch in unterschiedlichem Grad risikobehaftet, schon allein wegen des in der Entwicklungszeit häufig zu beobachtenden technologischen Wandels. Faire Vertragspartner würden das Mißerfolgsrisiko einer schwierigen und risikobehafteten Leistung nicht voll einem Partner auferlegen. Sie tun das im allgemeinen auch nicht, wie die obigen Musterverträge zeigen.

Andererseits kann es auch nicht angehen, daß der Auftraggeber fortwährend zahlend an ein Entwicklungsprojekt gebunden bleibt, das nicht zu Ende kommt.

III. Lösungsmöglichkeiten

1. Kündigungsrecht aus wichtigem Grund im Werkvertrag

Es ist anerkannt, daß der Besteller neben dem freien Kündigungsrecht mit Vergütungspflicht nach § 649 BGB auch ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund ohne Vergütungspflicht für noch ausstehende Teilleistungen hat. Die Kündigungswirkung ex nunc hat zur Folge, daß der Werkunternehmer Anspruch auf die Teilvergütung entsprechend seiner bis zur Kündigung erbrachten Teilleistung hat, es sei denn, der Besteller bewiese, daß die Teilleistung ohne Wert war. Unser Problem ist aber nicht Frage, ob der Besteller aus wichtigem Grund kündigen darf , sondern die, ob er in bestimmten Situationen auf ein Kündigungsrecht statt weitergehender Rücktrittsrechte beschränkt ist.

2. Nicht zu vertretende Unmöglichkeit - § 323 BGB

Scheitert ein Entwicklungsvertrag aus Gründen, die weder der Auftraggeber noch der Entwickler zu vertreten hat, so verliert der Entwickler nach § 323 (1) BGB den Anspruch auf die Gegenleistung. Nach § 323 (3) sind aber bei erbrachten Teilleistungen diese und die Gegenleistung nach § 818 (3) BGB wertmäßig auszugleichen. Ist der Auftraggeber durch die Entwicklungsarbeiten aber noch nicht bereichert worden, so schuldet er nach § 818 (4) BGB keinerlei Vergütung.

§ 323 BGB bietet aus vornehmlich 2 Gründen keine hinreichende Lösung: bezieht man Nicht-Vertreten-Müssen in § 323 BGB auf unmodifiziertes Werkvertragsrecht, so muß der Entwickler in aller Regel die Unmöglichkeit oder Verspätung des Entwicklungsergebnisses tragen ohne Rücksicht auf die Risikosituation, und das gerade wird als stoßend empfunden. Beim Untergang wird § 323 BGB durch den spezielleren § 645 BGB und bei der Verzögerung durch den spezielleren § 636 BGB mit Rücktrittsrechten ersetzt. Zwar ist auch beim Rücktritt nach §§ 636, 327, 346 (2) BGB der Wert geleisteter Dienste zu vergüten, und das gilt auch analog für Werkleistungen, aber doch nur dann, wenn es schon zur Ablieferung eines entsprechend werthaltigen Entwicklungsergebnisses gekommen ist

3. § 645 BGB analog?

Hier gibt es den Ansatz von Niklisch für die komplexen Langzeitverträge, denn der Entwicklungsvertrag ist einmal ein Langzeitvertrag, darüber hinaus aber auch, von Fall zu Fall mehr oder minder, ein Neuland betretender Risikovertrag. Für den komplexen Langzeitvertrag schlägt Niklisch folgende Modifikationen der Werkvertragsregeln de lege ferenda vor:

Nach § 645 BGB hat der Werkunternehmer einen Teilvergütungsanspruch entsprechend seiner bisher geleisteten Arbeit, wenn das Werk in Folge mangelhafter Beistellungen oder Auftraggeberweisungen untergegangen oder unausführbar geworden ist, ohne das der Werkunternehmer den Grund mitzuvertreten hätte.

Das ist in Einzelfällen auch auf beiderseits unverschuldete Zweckvereiteilung angewandt worden, und auch dann, wenn die Ursachen in der Sphäre des Bestellers lagen. Auch Müller-Hengstenberg kommt aus der Mitwirkungspflicht heraus zu einer Risikoverteilung, je nach dem aus wessen Sphäre die Ursache für das Leistungsdefizit (Verzögerung, Mehraufwand, Mangel) kommt. Scheitert die Entwicklung an Schwierigkeiten, die nicht aus der Sphäre des Bestellers kommen, so bleibt das Risiko des gewagten Entwicklungsvertrages voll beim Entwickler. Die Ausdehnung des § 645 BGB auf Fälle riskanter Werkleistungen überschreitet angesichts des Wortlauts des § 645 BGB den Bereich der erlaubten Analogie und löst nicht im Vorfeld die Verzögerungsituation des § 636 BGB. Anders wäre es, wenn § 645 BGB für den Fall des ausbleibenden Ergebnisses vereinbart wäre oder als vereinbart zu gelten hätten.

4. § 242 BGB

Zu denken wäre ferner an eine allgemeine Billigkeitskorrektur aus Treu und Glauben - § 242 BGB. Für sich genommen ist das eine sehr pauschale Gesetzeskorrektur. Platz greifen kann eine Billigkeitskorrektur aber im Rahmen der nachfolgend zu erörternden ergänzenden Vertragsauslegung.

5. Ergänzende Vertragsauslegung

Der riskante Entwicklungsvertrag ist einerseits wie der Dienstvertrag arbeitsorientiert auf bestes und fachkundiges Bemühen hin, und andererseits ergebnisorientiert wie der Werkvertrag, weil ausgerichtet auf ein spezifisches Entwicklungsziel. Unveröffentlichte Instanzurteile - so im Eingangsfall des Ossometriegerätes - weichen auf einen Vertrag sui generis "mit werk- und dienstvertraglichen Elementen sowie gesellschaftsrechtlichen Einschlägen" aus mit der Rechtsfolge der Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund und Schadensersatz, z.B. Aufwandsersatz bei schuldhafter Verursachung des Kündigungsgrundes. Der Entwicklungsvertrag verschmilzt dienst- und werkvertragliche Elemente. Bei solchen Typenverschmelzungsverträgen ist den besonderen Regelungsbedürfnissen, hier dem Entwicklungsrisiko, durch ergänzende Vertragsauslegung nach § 157, 242 BGB Rechnung zu tragen. Bei der ergänzenden Vertragsauslegung ist nach der Rechtsprechung darauf abzustellen, welche Regelung die Parteien für den Mißerfolg im Hinblick auf den Risiko-Charakter des Vertrages nach Treu und Glauben bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte getroffen hätten.

a) Rechtsfolgen

Dann aber hätten die Parteien bei unverschuldetem Ausbleiben des Erfolgs typischerweise ein Kündigungsrecht ex nunc vereinbart, wie es bei in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnissen die Regel ist. Beim Aufspalten der Gesamtleistung in milestones ist es zwar theoretisch denkbar, daß bei Nichterreichen eines späteren milestones Rückabwicklung der Gesamtvergütung, also auch der für frühere milestones gezahlten in Frage kommt. Mit der Aufspaltung der Gesamtleistung in Phasen verknüpfen die Parteien aber eher die Vorstellung, daß damit der Vertrag teilbar wird, eine Beendigung nur für die Zukunft erfolgt. Nichts anderes kann beim Fehlen oder bei weit auseinander liegenden milestones gelten, denn die komplette Rückabwicklung trifft den Entwickler unverhältnismäßig hart.

Bei der Kündigung hätten die Parteien fairerweise einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und Ersatz der darüber hinaus gehenden Auslagen vereinbart. Dabei hätten sie sich aber typischerweise das Risiko 50 : 50 geteilt, wenn die Teilleistung für den Besteller wertlos ist. Bei einer wertlosen Teilleistung, z.B. einem wertlosen Labormuster gebührt dem Entwickler typischerweise daher nur die Hälfte der anteiligen Entwicklungsvergütung für das Labormuster; diese aber auch nur gegen Aushändigung des Labormusters. Der Teilvergütung leistende Auftraggeber muß sichergestellt sein, daß der Auftragnehmer die Entwicklung nicht nachträglich zu Ende führt, verwertet und so doppelt kassiert.

Bei ungenügender, insbesondere noch mangelhafter Leistung, hätten die Parteien im Rahmen des zeitlich noch Zumutbaren die längst mögliche Nachbesserungsfrist vereinbart statt der kurzen Frist nach §§ 326, 634 BGB.

Bei deutlich schuldhaft verursachten Fehlern oder schuldhaftem Scheitern des Projektes entspricht es aber auch einer interessengerechten Vertragsergänzung, die volle Haftung nach §§ 325, 326, 634, 635 BGB bzw. aus positiver Vertragsverletzung beim mehr dienstvertraglichen Forschungsvertrag bestehen zu lassen. Dabei wird man zwar nicht bloß grobe Fahrlässigkeit fordern, wohl aber ein klares und deutliches Verschulden bei einer Bewertung aus der Sicht ex ante. Deutlich schuldhaft sind auch Fehler, die einem guten Fachmann auf dem Gebiet nicht unterlaufen wären. Der Auftraggeber muß sich schuldhafte Mitwirkungsdefizite zurechnen lassen, je nach Lage des Falles als Mitverschulden nach § 254 BGB mit der Folge, daß ein Nachbesserungsaufwand zu teilen ist.

b) Voraussetzungen

Der "Entwicklungsvertrag" per se löst eine solche ergänzende Vertragsauslegung nicht aus. Es muß sich vielmehr nach der Vertragsrealität

Die Beweislast dafür, daß der Vertrag abweichend von den normalen Werkvertragsregeln ein risikobehafteter Entwicklungsvertrag ist, obliegt dem Entwickler, der sich auf günstigere ergänzende Vertragsauslegung berufen möchte.

IV. Diskussion

1. Die Parteien sollen selbst Dienst- oder Werkvertrag regeln!

Kann und soll man es nicht den Parteien überlassen, die Rechtsfolgen durch Einordnung in Dienst- oder Werkvertrag bei der Vertragsformulierung zu regeln? Man kann es nicht, ohne der Kautelarjurisprudenz einen zu großen Einfluß auf das gerechte Ergebnis einzuräumen, und die Rechtsprechung räumt diesen Einfluß auch nicht ein. Das Etikett "Dienstvertrag" hilft nichts, wenn letztlich ein Erfolg herauskommen soll.

Die Vertragspartner sind häufig nicht Juristen. Jede Entwicklung verfolgt ein Ziel. Der Entwicklungsvertrag wird dann immer mehr oder minder durch das Ziel geprägt und nimmt deshalb zu Recht oder zu Unrecht den Anschein eines Werkvertrages an. Am Wagnischarakter ändert sich aber deshalb nichts.

2. Stehen Grundwertungen des Gesetzgebers entgegen?

Darf man durch ergänzende Vertragsauslegung in besonderen Fällen des riskanten Entwicklungsvertrags Wandelungs- und Schadensersatzrechte auf ein Kündigungsrecht reduzieren, wenn der Gesetzgeber in § 11 Nr. 10 b AGBG Wandelung und bei Verzug Schadensersatz - § 11 Nr. 8 b AGBG - zu unentziehbaren Rechten erklärt hat? Das unentziehbare Sekundärrecht der Wandelung gilt nicht nur für Kaufverträge, sondern für alle Verträge "über Leistungen", mithin auch für Werkverträge. Die Rechtsprechung hat schon vor dem AGBG das Sekundärrecht der Wandelung als unentziehbar auch im kaufmännischen Verkehr bezeichnet.

Das Wandelungsrecht ist unentziehbar, weil sonst im klassischen Werkvertrag der Auftraggeber rechtlos gestellt und das Äuqivalenzverhältnis nicht gewahrt wäre. Ist das Wandelungsrecht im langfristigen Entwicklungsvertrag mit Risikocharakter aber inadäquat und ein Kündigungsrecht angemessener, so stellt es im kaufmännischem Verkehr keine gegen § 9 AGBG verstoßende Abweichung vom Grundgedanken der gesetzlichen Regelung oder von vertragsimmanenten Rechten und Pflichten dar, wenn für diesen Sonderfall ein Kündigungsrecht gilt. Die gesetzgeberische Grundwertung für den Normalfall wird damit nicht mißachtet.

Sonderregelungen gelten auch bei anderen Leistungsverträgen, z.B. beim Lizenzvertrag, wenn Gründe gegen den Rechtsbestand des lizenzierten Schutzrechts auftauchen oder wenn ältere dominierende Patente auftreten: es gibt keinen Rücktritt wegen Rechtsmängeln ex tunc, sondern allenfalls eine Kündigung aus wichtigem Grund ex nunc.

3. Vorrang des dispositiven Rechts?

Man kann die Frage aufwerfen, ob beim Fehlen einer vertragsspezifischen Risikoregelung nicht statt ergänzender Vertragsauslegung eine Einordnung auf der Spanne zwischen Werkvertrag und Dienstvertrag vorzunehmen und, je nach dem Ergebnis dieser Einordnung, dann die eine oder andere Risikoregelung nach dem dann einschlägigen dispositiven Recht anzuwenden ist. Der BGH hat in der Tat früher ausgesprochen, daß die Vertragsparteien, soweit sie bei Vertragsschluß keine vom Gesetz abweichende Regelung treffen, die Ausgestaltung den Gesetzesvorschriften überlassen und für eine andere ergänzende Vertragsauslegung kein Raum sei. In späteren Entscheidungen ist aber durchweg der Gesichtspunkt zur Geltung gekommen, daß ein gerechter Interessenausgleich im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung Vorrang vor dem Rückfall auf dispositive Normen hat, wenn letztere für den besonderen Fall einen gerechten Interessenausgleich nicht leisten.

4. Verbietet die Gestaltungsfreiheit bei den Rechtsfolgen eine ergänzende Vertragsauslegung?

Wenn oben eine typische Rechtsfolgenregelung vorgeschlagen wurde, so ist das sicher nicht die einzig denkbare. Andere ergänzende Risikoregelungen sind vorstellbar. Daher stellt sich die Frage, ob der Richter in die mögliche Gestaltungsfreiheit durch eine typische ergänzende Vertragsauslegung eingreifen darf.

Dieser Gesichtspunkt ist im Hinblick auf die ältere BGH-Rechtsprechung ausführlich erörtert worden im Urteil "Tagespreisklausel" des BGH. Der BGH hat eine AGB-rechtlich unwirksame Tagespreisklausel beim Kfz-Neuwagen-Kauf im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahingehend ersetzt, daß der Verkäufer den späteren Tagespreis verlangen kann, wenn diese Leistungsbestimmung billigem Ermessen nach § 315 BGB entspricht, daß der Käufer aber vom Vertrag zurücktreten dürfe, wenn die Preiserhöhung den Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten zwischen Bestellung und Auslieferung nicht unerheblich übersteigt. Der BGH hat anerkannt, daß es auch andere Gestaltungsmöglichkeiten geben könne, hat aber entschieden, daß das diesem gerechten Interessenausgleich nicht im Wege stehe, weil andernfalls die ergänzende Vertragsauslegung in vielen Fällen, in denen ein Bedürfnis nach ihr besteht, scheitern würde.

5. Wie sind Fälle vertraglich unangemessener Einordnung zu behandeln?

Wenn eine unangemessene werkvertragliche Risikotragung individuell ausgehandelt ist, so ist daran nichts zu

Anders ist es dann, wenn bei einer aufwendigen Langzeitentwicklung mit Risikocharakter durch vorformulierte Vertragsbedingungen klassisches Werkvertragsrecht vereinbart oder nachgezeichnet wird. Zwar gelten nach § 8 AGBG die Kontrollvorschriften der §§ 9 - 11 AGBG nur für solche vorformulierten Bestimmungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Und das scheint auf den ersten Blick nicht der Fall zu sein, weil ja nur die gesetzlichen Werkvertragsvorschriften, freilich in einer unpassenden Situation, vereinbart sind. Zu den Rechtsvorschriften rechnen aber nicht nur die geschriebenen, sondern auch die ungeschriebenen Normen des Vertragsrechts einschließlich denen über die ergänzende Vertragsauslegung. Für die Frage, ob Formularbedingungen abweichen im Sinne des § 8 AGBG, ist daher zu klären, wie sich die Risikoverteilung ohne die vorformulierten Vertragsbedingungen darstellen würde. Stellt sie sich dann bei Anwendung der ergänzenden Vertragsauslegung für den Entwickler als Vertragsgegner günstiger dar als bei vorformulierter Anwendung strikten Werkvertragsrechts, so liegt eine Abweichung nach § 8 AGBG vor, die die Inhaltskontrolle eröffnet.

Alsdann stellt es bei einem langfristigen Entwicklungsvertrag mit Risikocharakter aber eine unangemessene Benachteiligung nach § 9 (2) Nr. 2 AGBG dar, wenn eine erheblich andere Risikoverteilung, die sich kraft ergänzender Vertragsauslegung aus der Natur des Vertrages ergibt, derart eingeschränkt wird, daß das Risiko nach einem für andere Fallgestaltungen geltenden klassischen Werkvertragsrecht einseitig dem Entwickler überbürdet wird.

Diese Einbeziehung vorformulierter Vertragsbeziehungen in eine interessengerechtere Risikoverteilung kraft ergänzender Vertragsauslegung liegt sicherlich an der Grenze dessen, was das AGB-Gesetz noch an Inhaltskontrolle erlaubt. Hält man aber fallweise eine Risikokorrektur im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dann für interessengerecht und richtig, wenn der Vertrag über die Rechtsfolgen schweigt, so ist es eine notwendige Konsequenz, den Formularvertrag auch einer entsprechenden Inhaltskontrolle zu unterwerfen. Es kann einem Auftraggeber als Verwender nicht gestattet sein, eine interessengerechte Korrektur durch eine AGB-Klausel zu unterlaufen, in der er striktes Werkvertragsrecht stipuliert.

6. Typische, nicht zwingende Lösung

Die hier vorgestellte Lösung für die Behandlung des Risikos im Entwicklungsvertrag entspricht inhaltlich nicht ganz, aber weitgehend, den Vorschlägen von Niklisch - de lege ferenda. Anders als eine Lösung de lege ferenda ist es aber keine starre Lösung, sondern als Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung ist sie in Voraussetzung und Folgen am Einzelfall orientiert. Eine andere Risikoverteilung als nach normalem Werkvertragsrecht greift kraft ergänzender Vertragsauslegung nur dann Platz, wenn es sich nicht um einen normalen Werkvertrag handelt, sondern um einen komplexen risikobehafteten Langzeitvertrag, insbesondere einen risikobehafteten Entwicklungsvertrag. In den Rechtsfolgen kann die ergänzende Vertragsauslegung je nach der Interessenlage des Einzelfalles durchaus unterschiedlich ausfallen. Für die Rechtspraxis sollte es aber eine brauchbare Orientierung und Regellösung sein, wenn als typische Rechtsfolge einer risikobedingten Verzögerung Kündigung ex nunc mit anteiliger Vergütung gilt, unbeschadet der Nachbesserungspflicht bei unvollkommener Leistung. Bei deutlich schuldhaftem Leistungsdefizit gilt die normale Haftung, beiderseits ggf. mit Mitverschulden seitens des Auftraggebers.

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