Der zu weite Patentanspruch

Dr. Matthias Brandi-Dohrn

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I. Geburtsfehler des Patentsystems - mangelnde Klarheit, kein Einspruchsgrund

Der Schutzbereich wird nach Art. 69 EPÜ wie auch nach § 14 PatG durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Für den Anmelder und seinen Patentanwalt ist es daher geboten, den Inhalt der Patentansprüche möglichst weit zu ziehen.

Wird in den Ansprüchen ein Resultat, ein Desideratum oder eine Funktion beansprucht, dann weisen die Ansprüche häufig eine kritische Weite auf, weil sie das gleiche Resultat auch dann sperren, wenn es auf andere Weise erzielt wird. Einschränkend ist freilich zu bemerken, daß funktionelle Merkmale nicht immer zu einer kritischen Weite führen. Strukturelle oder andere Parameter können durch zusätzliche funktionelle Angaben gerade begrenzt werden. Anspruchsweite bleibt in anderen Fällen auch dann kritisch, wenn das beanspruchte Resultat zum ersten Mal erzielt wurde, so daß sich Neuheits- oder Erfindungsprobleme nicht stellen. Derart weite Ansprüche sind möglicherweise nicht in ihrer gesamten Ausdehnung durch die Beschreibung gestützt. Aber das ist bislang nur ein Einwand nach Art. 84 EPÜ "Klarheit". Unter "mangelnde Klarheit" fällt nicht nur Interpretationsbedürftigkeit oder Widersprüchlichkeit einzelner Ausdrücke, sondern nach Art. 84 EPÜ auch mangelnde Stützung durch die Beschreibung.

"Die Patentansprüche müssen den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird. Sie müssen deutlich und knapp gefaßt und von der Beschreibung gestützt sein."

Der zu weite Patentanspruch ist ein nicht ausreichend gestützter. Klarheit - und das ist der Geburtsfehler des Patentsystems - ist im Gegensatz zur unzureichenden Offenbarung nach Art. 83 EPÜ kein Einspruchsgrund, infolgedessen auch kein nach Art. 138 EPÜ zugelassener Grund für die nationale Nichtigkeit. Damit stehen wir vor dem Problem, daß mangelhaft gestützte weite Ansprüche häufig unreparierbar sind, obwohl anerkanntermaßen die Ansprüche die zentrale Rolle für den Schutzbereich spielen. Mit diesem Grundlagenproblem beschäftigen sich zwei neuere EPA-Entscheidungen "Dieselöl/EXXON" T 409/91, und "Detergentien/UNILEVER" T 435/91, die im Mittelpunkt unserer Betrachtung stehen soll.



II. Der Sachverhalt der EPA-Entscheidungen

Die Dieselöl/EXXON Entscheidung T 409/91 ist im Prüfungsbeschwerdeverfahren zu einer Anmeldung ergangen, die das wohlbekannte Problem behandelt, daß Diesel bei kalter Temperatur paraffiniert. Dieses Phänomen entsteht durch die Kristallisation von Wachspartikeln, die alsdann die Motorfilter verstopfen. Der Erfinder der fraglichen Anmeldung EP 02 61 958 hat herausgefunden, daß die Wachskristalle im Dieseltreibstoff hinreichend klein werden, um selbst bei niedrigen Temperaturen noch die Filter zu passieren, wenn man bestimmte Additive zusetzt mit Zusammensetzungen, die in der Beschreibung näher angegeben waren. Was der Anmelder dann beansprucht hatte, waren aber nicht die Additive oder einen Dieseltreibstoff, behandelt mit diesen Additiven, sondern das Ergebnis schlechthin, nämlich einen Dieseltreibstoff mit Wachskristallen kleiner als 4.000 Nanometer.

Der Anspruch warf ein erstes Problem auf: "kleiner als 4.000 Nanometer" umfaßt alles bis herunter zu 1 Nanometer. Die kleinste tatsächlich erreichte Größe war aber nach den Beispielen in der Beschreibung 1.200 Nanometer. Die Beschwerdekammer fand daher, daß Größenordnungen unterhalb der tatsächlich offenbarten Beispiele nicht beansprucht werden können.

Dieses Problem berücksichtigte der Anmelder mit einem Hilfsantrag. Es blieb das zweite, viel wichtigere Problem: ist es einem Anmelder gestattet, ein Ergebnis oder eine Funktion zu beanspruchen, wenn er nur einen Weg, nur eine Lösung gefunden und offenbart hat, um das fragliche Ergebnis bzw. die Funktion zu verwirklichen? Im gegebenen Fall: darf der Anmelder Dieseltreibstoff mit kleinen Wachskristallen generell monopolisieren, wenn sein Beitrag zum Stand der Technik das spezifische Additiv war, das solche kleinen Wachskristalle bewirkt? Das Problem bekommt dadurch seine weitere Bedeutung, daß es ein anerkanntes Prinzip im nationalen und europäischen Patentrecht ist, daß ein Anspruch, der auf eine Vorrichtung oder einen Stoff als solchen gerichtet ist, absoluten Stoffschutz genießt, also auch dann, wenn der Stoff oder die Vorrichtung für andere Zwecke verwendet oder auf andere Weise erzeugt werden.

Würde in Zukunft jemand das Problem der hinreichend kleinen Wachskristalle zur Flüssigerhaltung des Dieseltreibstoffes anders lösen, sagen wir durch eine bestimmte Hitzebehandlung des Treibstoffes, dann könnte er seine Erfindung gleichwohl nicht nutzen, denn das Resultat, die kleinen Wachskristalle, findet er schon vorpatentiert.

In T 435/91 Detergentien/UNILEVER ging es in einem Einspruchsbeschwerdeverfahren um ein Reinigungsgel, das in die Gel-Phase mit Hilfe eines Additivs gelangen sollte. Das Additiv war nach Haupt- und 3 nachgeordneten Hilfsansprüchen teils breit strukturell, teils breit funktionell beansprucht. Die Beschwerdekammer verwarf alle Hilfsansprüche, obwohl in der Beschreibung ein nacharbeitbarer Ausführungsweg angegeben war, und hielt das Patent erst mit dem 4. Hilfsantrag aufrecht, weil dieser eine enge Auswahl chemischer Verbindungen für das Additiv anbot, die ohne unzumutbaren Aufwand in ihrer begrenzten Weite nacharbeitbar waren.



III. Das Problem des weiten Patentanspruchs in Rechtsprechung und Literatur

1. Literatur

Das Problem des neuen, aber dennoch zu breiten Anspruchs wird in der Literatur nur spärlich behandelt. Es entsteht darin, daß unter dem neuen Recht dem Anmelder eine erhöhte Verantwortung dafür obliegt, durch die Formulierung des Patentanspruchs den gesamten sachlichen Schutzbereich seines Patents abzudecken. Bei der weiten Fassung seines Patentanspruchs muß der Anmelder einerseits den erfinderischen Abstand zum Stand der Technik einhalten, darf es aber andererseits nicht versäumen, den gesamten Offenbarungsgehalt seiner Patentschrift durch eine entsprechende Fassung der Patentansprüche abzudeken, denn sonst rechtfertigt es auch das Anliegen einer angemessenen Belohnung des Erfinders nicht, anstelle der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Erfindung einen aus der Beschreibung entnehmbaren Erfindungsgegenstand in den Schutz des Patents einzubeziehen. Darüber, wie weit der umfassende Grad der Abstrahierung bei der Umschreibung einer Erfindung reichen darf, äußert sich Bruchhausen dahin, daß eine Begriffswahl unbedenklich sei, die dem Fachmann ohne weiteres Nachdenken eine Verwirklichung der Erfindung mit verschiedenen technischen Gestaltungsmitteln erlaubt. Hingegen:

"Die Verwendung funktionaler Begriffe, die dem Patentinhaber bei erstmaliger Lösung eines technischen Problems sämtliche weiteren Lösungen dieses Problems vorbehalten würden, auch wenn sie sich von der erstmals gefundenen Lösung in erfinderischer Weise abheben, stößt an die Grenzen des Patentrechts, das durch die Gewährung von Ausschlußrechten zu neuen erfinderischen Lösungen anreizen soll."

Krasser sieht keine Einwendungen gegen weite Ansprüche wegen möglicher Behinderung der Innovation dadurch, daß neue Erfindungen zu abhängigen Erfindungen werden. In England rechtfertigt Prof. Cornish weite Stoffansprüche über die tatsächlich ausgeführten Beispiele hinaus.

Trotz der anscheinend geringen Skepsis der Literatur haben solche breiten Ansprüche wieder und wieder die nationalen Gerichte und die Beschwerdekammern des EPA beschäftigt.

2. Rechtsprechung in England

Nach altem englischen Patentrecht war es ein Ungültigkeitsgrund, wenn die complete specification den Schutz des beanspruchten Monopols nicht ausreichend klar und zweifelsfrei definierten. Lord Justice Romer drückte das 1935 im Non-Fume-Fall drastisch so aus:

"Ein solches Patent ist ein öffentliches Ärgernis, das die in dem Fachgebiet tätigen Personen belästigt und an der Ausübung ihrer legitimen gewerblichen Tätigkeit hindert".

Ungerechtfertigte Weite oder Undeutlichkeit war ein Widerrufsgrund nach Sektion 32 (i) des PatG 1949. Aber in jenem Non-Fume-Fall wurde zugelassen, daß das Monopol unter Bezugnahme auf das erzielte Ergebnis definiert werde, nämlich daß die Proportionen einer Vorrichtung - in jenem Fall eines Aschenbechers mit kegelförmigem Boden und eingestülptem Rand - so gewählt werden, daß ein bestimmtes Ergebnis eintritt, nämlich daß der Rauch von hereingeworfenen Zigarettenkippen nicht entweicht. Die Abmessungen mußten nicht in allen Details beansprucht werden, wenn der Fachmann die erforderliche Form ohne erfinderische Anstrengung durch Tests ermitteln kann.

Das Dilemma stellte sich in voller Schärfe im Gentech-Fall. Der englische Court of Appeal sah sich u.a. konfrontiert mit dem weiten Anspruch

"Human tissue plasminogen activator, hergestellt durch rekombinante DNA-Technologie".

Hinsichtlich der allgemeinen Weite des Patentanspruchs kamen die Lords einhellig zu dem Schluß, den Lord Justice Mustill unmißverständlich so ausdrückte: "ich halte es für völlig klar, daß dies ein Patent ist, das niemals hätte erteilt werden dürfen, wenigstens nicht in seiner derzeitigen Form".

Das neue englische Patentgesetz 1977 ist jedoch in seinen relevanten Bestimmungen §§ 6, 14 (3) (5), 72 (1) eng den Artikeln 84, 83, 100 EPÜ nachgebildet und sieht demzufolge unzulässige und ungestützte Weite eines Anspruchs nicht als Nichtigkeitsgrund an. Dieses Dilemma wird in der genannten Genentech-Entscheidung ausführlich diskutiert. Die Richter haben schließlich den Ausweg gewählt, die Erfindungshöhe zu verneinen.

3. Rechtsprechung in Deutschland

Bei der deutschen Rechtsprechung muß man sich ins Gedächtnis rufen, daß die Erfindung als zielgerichtete Lehre zum technischen Handeln angesehen wird. Die Lehre wiederum besteht aus Aufgabe und Lösung. Dabei wird Aufgabe verstanden als der objektiv erreichte Erfolg der Erfindung, gesehen aus der Zeit vor ihrer Vollendung.

a) Acrylfaser

Im alten Patentrecht vor 1978 hat der BGH entschieden, daß eine bloße Aufgabe keine Erfindung ist. Infolgedessen war es unzulässig, wenn der Anspruch lediglich die zu erreichende Aufgabe umschrieb und nicht die Lösungsmittel für die Aufgabe. Im Acrylfaserfall hat der BGH deshalb ein Patent für nichtig erklärt, das auf Acrylfasern gerichtet war, die definiert waren durch bestimmte Parameter hinsichtlich Faserfestigkeit und Schrumpfeigenschaften.

b) Polyesterfäden

In der neueren Entscheidung "Polyesterfäden" hat sich der BGH der Rechtsprechung des EPA in Polypeptid-Expression/GENENTECH angeschlossen, daß es auf vielen technischen Gebieten gängige Praxis ist, allgemeine Begriffe wie z.B. "Träger", "elastische Mittel", "Verstärkungsmittel" zu verwenden, die auch erst spätere - mit oder ohne erfinderische Leistung - entwickelte spezielle Ausführungsformen der allgemeinen Begriffe umfassen. Die BGH-Entscheidung erging zu einem Einspruch über ein Verfahrenspatent zur Erhöhung der Festigkeit von Polyesterfäden. Ausgangspunkt des Verfahrens war eine allgemeine Gruppe von Polyesterfäden, die sich durch einen bestimmten Festigkeitswert auszeichnen, der dann durch die verfahrensgemäße Behandlung erhöht wird. Das BPatG war der Auffassung, das Auswahlkriterium für die Ausgangsmaterialien sei nicht hinreichend präzise, um den Fachmann in die Lage zu versetzen, das Verfahren "im vollen beanspruchten Umfang" durchzuführen. Der BGH hat für den Patentinhaber entschieden, da das Ausführungsbeispiel wenigstens einen gangbaren Weg zur Ausführung der Erfindung biete. Der BGH unterstellte mangels gegenteiliger Feststellungen, daß der Fachmann weitere Ausgangsmaterialien ohne unzumutbare Schwierigkeiten und erfinderisches Bemühen finden könne. Alsdann sei es unerheblich, daß das generelle Kriterium für das Ausgangsmaterial auch Polyesterfäden umfasse, die erst in Zukunft erfunden werden, oder einige Ausgangsmaterialien umfasse, die sich letztlich als nicht geeignet erweisen würden, um die Polyesterfäden erhöhter Festigkeit damit zu produzieren.

Während die hier behandelten Entscheidungen T 409/91 und T 435/91 demgegenüber eher die Grenzen erlaubter Generalisierung betonen, stehen sie gleichwohl nicht in einem echten Konflikt zu jener BGH-Entscheidung Polyesterfäden, denn der BGH unterstellte dort den wesentlichen Punkt, daß es nach dem Stand der Technik über das Ausführungsbeispiel hinaus weitere Kandidaten für das Ausgangsmaterial gab. Gerade das war aber in der Dieselöl-EXXON-Entscheidung T 409/91 und den verworfenen Anspruchsfassungen in Detergentien/UNILEVER T 435/91 anders.

c) Tetraploide Kamille

Ein Gegensatz besteht aber zu der Entscheidung "Tetraploide Kamille" des BGH. Übergehen wir den dortigen, schwer verdaulichen Hilfsantrag 3, den product-by-process Anspruch, denn in diesem Zusammenhang interessiert uns der Hauptantrag mit Anspruch 1:

"Tetraploide Kamille mit mindestens 300 Einheiten des Wirkstoffs Y."

Das BPatG hatte im Einspruch diesen Anspruch widerrufen, weil "mindestens" auch die biologisch mögliche Höchstmenge von 600 umgreife, während die Beschreibung nur Beispiele bis 450 enthalte. Der BGH hat zurückverwiesen zur Feststellung, ob der Gegenstand nach fachmännischem Verständnis zum Prioritätszeitpunkt nicht nur Wert bis zu der damals praktisch erreichbaren Höchstgrenze von ca. 450 betreffe. Die fachmännische Auslegung feststellen zu lassen, ist dogmatisch wohl untadelig, praktisch aber ein ungewisses Unterfangen. Wer sagt uns, ob ein sachverständiger Fachmann bei "mindestens 300" den Schutzumfang Jahre später vor dem Verletzungsgericht nicht anders bestimmt? Im Sinne der Rechtssicherheit wäre es weitaus einleuchtender gewesen, wenn der BGH die Rechtsbeschwerde zu diesem Punkt zurückgewiesen hätte mit dem Bemerken, daß der Fachmann "mindestens" zwar in gewissen Bereichen verstehen mag, die Klarstellung des Bereichs aber eine der Rechtssicherheit dienliche Aufgabe des BPatG im Einspruchsverfahren sei. Ein Hilfsantrag 2 war außerdem auf die Klarstellung gerichtet.

4. US-Patentrecht

Im US-Patentrecht ist es ein festes Prinzip nach § 112 des US-Patentgesetzes, daß die Weite oder Allgemeinheit eines Anspruchs angemessen Maß zur nacharbeitbaren Offenbarung, zur enabling disclosure, halten muß. Ein einzelnes Ausführungsbeispiel biete im Gebiet der Mechanik oder Elektrik/Elektronik eher nacharbeitbare Offenbarung für andere Realisierungen unter einem breiten Anspruch, da diese Gebiete in stärkerem Maße durch vorhersagbare Faktoren geprägt seien. Auf Gebieten mit schwer vorhersagbaren Faktoren, wie z.B. bei den meisten chemischen Reaktionen und biologisch-physiologischen Aktivitäten, verringere sich der Bereich der befähigenden Offenbarung proportional mit der zunehmenden Unvoraussagbarkeit der beanspruchten Ergebnisse. Wenn nach diesen Maßstäben ein Anspruch nicht angemessen Maß mit der befähigenden Offenbarung hält, ist Nichtigkeit die Konsequenz.

5. EPA-Entscheidungen

Die Beschwerdekammern des EPA haben sich einer außerordentlich liberalen Sprache bedient, wenn sie sich mit dem häufig erhobenen Einwand auseinandergesetzt haben, daß die Ansprüche zu breit seien. Während die aktuell entschiedenen Fälle sehr wohl allgemeine Begriffe in den Ansprüchen gerechtfertigt haben mögen, waren die Begründungen Ermutigungen zu breiten Ansprüchen schlechthin, ohne wirkliche Grenzen.

a) Polypeptid-Expression/GENENTECH

In dieser Entscheidung war der Anspruch gerichtet auf ein rekombinantes Plasmid, geeignet zur Transformation einer bakteriellen Wirtszelle. Das Plasmid sollte sein eigenes Regulon benutzen, um eine eingesetzte Fremd-DNA in der Wirtszelle zu exprimieren. Die Prüfungsabteilung hatte eingewandt, daß der Anspruch einerseits ungeeignete Plasmide mitumfasse und andererseits Plasmide, die erst künftig erfunden würden. Die Beschwerdekammer befand:

"Die rekombinanten Plasmide umfassen als Komponenten verschiedene Regulons, die noch nicht bereitgestellt worden sind, aber eines Tages als solche aufgrund bestimmter nützlicher Eigenschaften Erfindungen werden könnten. Dasselbe gilt für das Grundplasmid, das so geändert worden ist, daß es die anspruchsgemäßen Eigenschaften besitzt. Das ursprüngliche Plasmid kann komplexe Strukturen aufweisen, die noch zu entwickeln wären. ...

Bei den anspruchsgemäßen Merkmalen handelt es sich in diesem besonderen Zusammenhang trotz der strukturellen Bezeichnungen um im wesentlichen funktionelle Begriffe, die eine unbegrenzte Zahl von Möglichkeiten abdecken. Daraus folgt, daß die Merkmale gattungsgemäß die Verwendung noch unbekannter oder noch nicht ins Auge gefaßter Möglichkeiten einschließlich spezifischer Varianten umfassen, die möglicherweise eines Tages bereitgestellt oder erfunden werden. Die Kammer stimmt mit der Entscheidung einer anderen Beschwerdekammer (T 68/95 - Synergistische Herbizide, ABl. EPA 1987, 228) überein, bei der die Verwendung funktioneller Begriffe in den Ansprüchen bejaht wurde, "wenn diese Merkmale ohne Einschränkung der erfinderischen Lehre anders nicht ... präziser umschrieben werden können" und ihre Ausführung keinen unzumutbaren Aufwand erfordert."

b) Prä-Pro-Rennin/COLLABORATIVE

In diesem späteren Fall waren Zellen beansprucht worden, die genetisches Material enthalten, das von rekombinantem DNA-Material abgeleitet ware und Rinderrennin exprimieren konnte. Die Beschwerdekammer befand, daß für die weite Klasse der zu dieser Expression geeigneten Zellen eine gewisse formale Stützung vorhanden sei, da es unbillig wäre, die Ansprüche auf die in der Offenbarung mit Beispielen belegten Stämme zu beschränken und alle künftig möglicherweise verwendeten auszuschließen.

c) Alpha-Interferone/BIOGEN

In diesem Fall wurde ein rekombinantes DNA-Molekül beansprucht, welches das Gen enthält, das für Alpha-Interferone codiert, Alpha-Interferone also in geeigneten Wirtszellen erzeugt. Beansprucht wurde das DNA-Molekül "zur Verwendung bei der Klonierung einer DNA-Sequenz in Bakterien, Hefen oder tierischen Zellen". Die Einspruchsabteilung hatte eingewandt, daß an Bakterien nur E.coli-Stämme verfügbar gewesen seien. Die Beschwerdekammer bezog sich wiederum auf die Entscheidung Polypeptid Expression/GENENTECH:

"In der genannten Entscheidung wird insbesondere auf die Frage eingegangen, ob diese Merkmale so erweitert werden dürfen, daß sie neben den bestehenden auch die erst noch zu entdeckenden Mittel einschließen. Wenn Ansprüche mit derartigen funktionellen Merkmalen nicht gewährbar wären, so wäre kein nennenswerter Schutz gegenüber Dritten gegeben, die das patentgemäße Verfahren exakt nacharbeiten und dabei neue, aber ebenso nützliche Varianten der Erfindung erhalten."

Die zitierten Begründungen in allen drei Entscheidungen befassen sich mit allgemeinen oder funktionalen Ausdrücken für Hilfsmittel wie Plasmide, Zellklassen zur Expression oder Bakterien zur Expression.

d) Krebsmaus/HARVARD

Im Unterschied dazu betrifft der Fall der berühmten Harvard-Krebsmaus die Verallgemeinerung des beanspruchten Resultats selbst. In jenem Fall war ein Verfahren zur Erzeugung genetisch veränderter nichtmenschlicher Säuger sowie die genetisch veränderten nichtmenschlichen Säuger selbst beansprucht:

"Transgener, nichtmenschlicher Säuger, dessen Keim- und somatische Zellen eine aktivierte Onkogen-Sequenz enthalten als Ergebnis einer chromosomalen Einführung in das Genom des Tiers oder in das Genom eines Vorfahren, wobei das Onkogen wahlweise nach einem der Ansprüche 3 - 10 näher definiert ist."

Dieser Anspruch umfaßte nichtmenschliche Säuger allgemein, während das einzige Ausführungsbeispiel die Maus war. Die Prüfungsabteilung hatte das Patent deshalb wegen unzureichender Offenbarung - Art. 83 EPÜ - versagt, weil nicht angenommen werden könne, daß das einzige beschriebene Beispiel, das von Mäusen, auf alle anderen Säugetiere, beispielsweise Affen und Elefanten gleichermaßen übertragen werden könne. Die Beschwerdekammer entschied gegenteilig:

"Die bloße Tatsache, daß ein Anspruch weit gefaßt ist, ist jedoch an sich noch kein Grund zu der Annahme, daß die Anmeldung das Erfordernis einer ausreichenden Offenbarung im Sinne des Art. 83 nicht erfüllt. Nur wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel bestehen, kann gegen eine Anmeldung der Einwand mangelnder Offenbarung erhoben werden. ...

3.5 ... Solange das EPA keine überzeugenden Argumente gegen den Umfang der beanspruchten Erfindung vorbringen kann, kann es auch keine Beschränkung der Ansprüche verlangen."

Die Beschwerdekammer legte dar, daß es spätere Hinweise gebe, daß man die Erfindung auch an anderen Säugetieren als Mäusen ausführen könne, daß es jedenfalls keine erhärteten Zweifel gibt, daß ein Fachmann, die Erfindung im beanspruchten Umfang ausführen könne.

Ganz abgesehen von der Frage der Beweislast in einem solchen Fall der Verallgemeinerung, rückt die Entscheidung die dort unausgesprochene Frage ins Licht, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn spätere Erkenntnisse dahin führen, daß andere krebsanfällige Tiere nicht mit dem gleichen Verfahren wie die Krebsmaus erzeugt werden können, sondern daß das Verfahren erfinderische Abänderungen bedingt, um andere krebsanfällige Tiere hervorzubringen. Wenn sich im Licht späterer Erkenntnis der alte Anspruch tatsächlich als zu breit erweist, welche Abhilfen stellt dann das Recht zur Verfügung?

An dem Fall läßt sich noch ein weiteres Problem des weiten Hauptanspruch zeigen: nehmen wir an, der Unteranspruch 1 beansprucht als "nichtmenschlichen Säuger" die Maus und Unteranspruch 2 die Ratte. Aber weder Patent noch Fachwissen befähigen den Biologen zum Prioritätstag die - angenommenen - besondere Schwierigkeit zu bewältigen, die Ratte krebsanfällig zu machen. Das bewältigt ein Konkurrent kurze Zeit später. Er legt - alles angenommen - gegen das Patent Einspruch ein, und Unteranspruch 2 wird mangels nacharbeitbarer Offenbarung gestrichen. Aber die Ratte würde immer noch unter den Hauptanspruch "nichtmenschliche Säuger" fallen. Daher ist zu fordern, daß ein weiter Hauptanspruch durch Disclaimer in dem Maße beschränkt werden muß, wie präzisierende Unteransprüche gestrichen werden.

Eine Vielzahl von Entscheidungen zeigt, daß Einsprechende mit dem Argument, der Anspruch sei unbestimmt weit, nicht gehört wurden, da dies ein Einwand nur unter Art. 84 EPÜ, Klarheit, sei, der weder ein Einspruchsgrund noch folglich einen Nichtigkeitsgrund auf nationaler Ebene bildet. Art. 84 EPü wird in Einspruchsverfahren nur relevant, soweit die Ansprüche geändert werden, denn die geänderten Ansprüche müssen dem Erfordernis der Klarheit genügen. Für die ausreichende Offenbarung genüge jedoch, wenn der Gesamtinhalt der Patentschrift, also die Beschreibung, wenigstens ein nacharbeitbares Ausführungsbeispiel angibt. Das ist alsdann nach ständiger Rechtsprechung ausreichend, um weite Ansprüche zu rechtfertigen.

6. Dieselöl/EXXON und Detergentien/UNILEVER

Diese hier diskutierten Entscheidungen gehen einen großen Schritt darüber hinaus, indem sie zu weite Ansprüche nicht nur nach Art. 84 in Frage stellen, sondern auch nach Art. 83 EPÜ.

a) Stützung und Offenbarung

Art. 83 EPÜ ist Einspruchs- und Nichtigkeitsgrund. Darüber, wie weit mangelnde Stützung zugleich einen Offenbarungsmangel darstellt, sagt die Beschwerdekammer in Dieselöl/EXXON:

"Somit kann ein Anspruch zwar insoweit durch die Beschreibung gestützt sein, als er ihr entspricht, aber dennoch einen Gegenstand umfassen, der im Sinne des Art. 83 EPÜ nicht ausreichend offenbart ist, da er nicht ohne unzumutbaren Aufwand ausgeführt werden kann und umgekehrt."

und

"Nach Auffassung der Kammer ist die Offenbarung eines Weges zur Ausführung der Erfindung nach Artikel 83 EPÜ nur ausreichend, wenn sie dem Fachmann - wie bereits unter Nummer 2 dargelegt - die Ausführung der Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ermöglicht."

Ob das der Fall ist, dafür gibt es nicht von vornherein eine Vermutung zugunsten des Anmelders, sondern das muß entschieden werden in Abwägung der Wahrscheinlichkeiten - balance of probabilities - für und gegen die Ausführbarkeit im gesamten beanspruchten Bereich.

b) Anspruchsumfang und Offenbarung

Dieses Ergebnis kommt sehr nahe dem im US-Patentrecht geltenden Prinzip: Der Umfang der Ansprüche muß maßhalten mit der Offenbarung - the scope of the claims must be commensurate with the disclosure. Das spricht die Beschwerdekammer auch ganz ausdrücklich aus, Dieselöl/ EXXON (entsprechend in Detergentien/UNILEVER):

"Des weiteren müssen nach Artikel 84 EPÜ die Ansprüche, d.h. die Angabe der Erfindung in den Ansprüchen, durch die Beschreibung gestützt sein. Nach Auffassung der Kammer spiegelt sich in diesem Erfordernis der allgemeine Rechtsgrundsatz wieder, wonach der durch die Ansprüche festgelegte Umfang des durch ein Patent verliehenen Ausschließungsrechts nur dann als gestützt bzw. begründet anzusehen ist, wenn er dem Beitrag zum Stand der Technik entspricht (vgl. T 133/85, ABl. EPA 1988, 441). Dies bedeutet, daß die Angaben in den Ansprüchen im wesentlichen dem in der Beschreibung offenbarten Umfang der Erfindung zu entsprechen haben."

Ist die Definition der Erfindung in den Ansprüchen zu weit, dann ist das, wie zitiert, gleichzeitig ein Problem der ausreichenden Offenbarung nach Art. 83 EPÜ, so daß Konsequenz für einen zu weiten Anspruch nicht nur Versagung im Prüfungsverfahren ist, sondern auch Widerruf im Einspruch oder in der Nichtigkeit.

c) Weite funktionelle oder generelle Ansprüche

Detergentien/UNILEVER betont, daß für strukturell breit definierte Ansprüche prinzipiell nichts anderes gilt als für funktionelle Breite.

Nach der Dieselöl/EXXON-Entscheidung sind funktionelle und generelle Ansprüche nur gewährbar,

"wenn dem Fachmann - nach Lesen der Beschreibung oder aufgrund seines allgemeinen Fachwissens - eine Reihe von Alternativen zur Ausführung dieser Funktion zur Verfügung stünden."

oder, so Detergentien/UNILEVER

"Es ist jedoch klar, daß die zur Verfügung gestellte Information den Fachmann in den Stand versetzen muß, das ins Auge gefaßte Resultat ohne unzumutbare Schwierigkeiten im gesamten Umfang des fuktional definierten Anspruchs zu erreichen, und daß daher die Beschreibung, mit oder ohne das allgemeine Fachwissen, ein volles, aus sich heraus verständliches Konzept zur Erreichung des Resultats enthalten muß."

Im Fall Dieselöl/EXXON offenbarte die Beschreibung nur bestimmte Additive, um das beanspruchte Resultat zu erhalten. Andere Mittel wurden weder gelehrt, noch lagen sie im generellen Fachwissen. Damit war die Offenbarung nicht ausreichend, um einen Anspruch auf das erreichte Resultat zu rechtfertigen, also auf einen Dieseltreibstoff mit kleinen Wachskristallen schlechthin.


IV. Zwischenergebnis für Erteilung und Rechtsbestand

Die Entscheidungen bilden wohl einen Wendepunkt in der Rechtsprechung, denn sie öffnen auch das Einspruchsverfahren dem Argument, der Anspruch des angegriffenen Patents sei unangemessen weit. Aber wie weit trägt diese Wende? Kann man aus der bisherigen und dieser neuen Rechtsprechung stimmige Prinzipien entwickeln? Vielleicht kann der folgende Versuch Anregung bieten.

1. Anspruchsumfang und Offenbarung

Die Reichweite des durch die Ansprüche definierten Patentmonopols muß dem Umfang der in der Beschreibung offenbarten Erfindung entsprechen. Hält der Anspruch nicht maß mit der Offenbarung, dann ist der Anspruch nicht rechtsbeständig, und zwar nicht nur mangels Klarheit, sondern auch mangels ausreichend Offenbarung - Art. 83 EPÜ.

EPA T 409/91 - Dieselöl/EXXON, T 435/91 - Detergentien/UNILEVER und US-Rechtsprechung


2. Funktionelle Beschränkungen

Funktionelle Merkmale zusätzlich zu strukturellen Merkmalen können als weitere Begrenzung zulässig, erforderlich oder unschädlich sein.

3. Zulässigkeit funktioneller Ansprüche

Ist das Patentmonopol deshalb weit, weil nicht nur die beschriebene Lösung beansprucht wird, sondern das erzielte Resultat oder das zu lösende Problem beansprucht wird oder weil funktionelle oder weite strukturelle Merkmale benutzt werden, dann sollten folgende weitere Anforderungen kumulativ erfüllt sein:

EPA T 68/85 - ABl. 1987, 228 = GRUR INT. 1987, 698 - Synergistische Herbizide/CIBA GEIGY; EPA T 292/85 - ABl. 1989, 275/283 = GRUR INT. 1990, 61 - Polypeptid-Expression/GENENTECH

T 435/91 - Detergentien/UNILEVER

oder

EPA T 409/91 - Dieselöl/EXXON

EPA T 435/91 - Detergentien/UNILEVER

EPA T 68/85 - ABl. 1987, 282 - Synergistische Herbizide/CIBA GEIGY

4. Generelle oder funktionelle Ausgangsmittel

Betreffen die generellen Merkmale eine Klasse von Ausgangsstoffen oder eine Klasse von Endprodukten, dann sollten wie unter Nr. 3 oben mehrere Mitglieder der Klasse ohne unzumutbaren Aufwand verfügbar oder erhältlich sein,

5. Ungeeignetheit einzelner Mittel

Sind Hilfsmittel oder Ausgangsstoffe mit allgemeinen Begriffen oder Formeln umschrieben, dann ist es kein Offenbarungsmangel, wenn einzelne Mitglieder der Klasse oder Formel sich als ungeeignet erweisen, außer:

EPA T 292/85 - ABl. 1989, 275 - Polypeptid-Expression/GENENTECH; BGH GRUR 1991, 518 - Polyesterfäden

6. Angaben eines Wegs zur Ausführung

Die Angabe eines einzigen Wegs zur Ausführung der Erfindung stellt in den Fällen darüberhinausgehender Anspruchsweite ausreichende Offenbarung nur dann dar

7. Beweisbürde

Wenn es nicht offensichtlich ist, daß verschiedene Wege zur Ausführung der Erfindung zur Verfügung stehen, dann sollte es Sache des Anmelders sein, und zwar in jedem Verfahrensstadium, weitere Wege aufzuzeigen. Stehen nach allgemeinem Fachwissen tatsächlich weitere Wege zur Verfügung, dann sollte es dem Anmelder ein leichtes sein, diese aufzuzeigen.

8. Funktionale Hilfsmittel

Betreffen die generalisierenden Merkmale Hilfsmittel, die nicht zum Kern der Erfindung gehören, dann sollte das Übergewicht der Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, daß die Erfindung ohne unzumutbare Schwierigkeiten auch mit anderen Hilfsmitteln ausgeführt werden kann.

EPA T 292/85 - ABl. 1989, 275 - Polypeptid-Expression/GENENTECH hinsichtlich der Plasmide als Hilfsmittel;

EPA T 81/87 - ABl. 1990, 250 - Prä-Pro-Rennin/COLLABORATIVE für Klassen von Zellen als Wirtszellen

9. Prima facie Unterscheidung nach technologischen Gebieten?

Es könnte sein, daß es in der Chemie und in der Biologie regelmäßig zweifelhafter ist als etwa auf mechanischem Gebiet, ob alternative Lösungswege für das beanspruchte Resultat im generellen Fachwissen zur Verfügung stehen.

Richterliche Erfahrung in den USA, z. B. in re Fisher, 427 F2d 833



V. Anspruchsweite und Verletzungsmaßstäbe

Es wäre gewiß unrealistisch anzunehmen, man könnte irgendwelche Regeln über erlaubte Anspruchsweite entwickeln, die dann in allen Fällen eindeutige Resultate liefern könnten. Wir müssen mit dem Problem leben, daß Ansprüche zu weit erteilt werden aus Sorge den Schutz unangemessen zu beschränken oder, anders herum, zu beschränkt erteilt werden, um nicht zu monopolisieren was nicht wirklich erfunden wurde.

1. Anspruchsweite und Art. 69 EPÜ

Der eigentliche Angelpunkt des Problems ist die Umsetzung des Art. 69 EPÜ. Nehmen wir die Harvard Krebs-Maus als Beispiel: Wäre der Anspruch beschränkt worden auf das Verfahren, Mäuse krebsanfällig zu machen, dann ist es schwierig sich vorzustellen wie man bei zweckgerichteter Auslegung, also purposive construction, wie sie der Verletzungsmaßstab in Großbritannien ist, je dazu kommen könnte Katzen oder Ratten mit Mäusen gleichzusetzen, wenn es sich wirklich erweist, daß man das gleiche Verfahren wie bei Mäusen auch bei Katzen und Ratten anwenden kann. Das deutsche Zweistufenverfahren bei der Bestimmung des Schutzumfangs ist eher geeignet, flexible Resultate hervorzubringen: Die erste Stufe ist Anspruchsauslegung und die zweite Stufe ist der Bereich der Äquivalente. Äquivalent sind Mittel die zum gleichen oder nahezu gleichen Ergebnis führen und die dem Fachmann naheliegen. Wenn das gleiche Verfahren bei Katzen und Ratten auch angewendet werden kann, so können das sehr wohl Äquivalente nach der deutschen Rechtsprechung darstellen. Den Anspruch nicht zu eng zu definieren, ist mithin ein viel schwierigeres Problem bei der britischen Art, den Schutzumfang zu bestimmen, als bei der deutschen Schutzumfangsbestimmung. Aber der Wortlaut von Art. 69 EPÜ spricht zweifellos eher zu Gunsten des britischen Weges, nur mit einer Stufe der Auslegung, purposive construction, zu arbeiten.

2. Anspruchsweite und Auslegung unter den Wortlaut

Ist ein Anspruch einmal zu weit geraten, so ist die Abhilfe im deutschen Verletzungsprozeß überaus ungewiß, denn es ist ein althergebrachtes Prinzip, daß der Verletzungsrichter das Patent nicht unter seinen Wortlaut auslegen darf. Das wird daraus gefolgert, daß der Verletzungsrichter an den Wortlaut des Erteilungsaktes unbedingt gebunden ist. Sagt der Anspruchswortlaut nichts darüber, mit welchen Mitteln der beanspruchte Erfolg erzielt werden soll, so erstreckt sich der Schutzumfang nicht nur auf die gezeigte Ausführungsform, sondern auf jede sich dem Fachmann aufgrund seines fachlichen Könnens ohne weiteres darbietende Ausführungsform. Das hat der BGH in Befestigungsvorrichtung II dahin erweitert, daß eine Konkretisierung auch dann verletzend ist, wenn sie nicht naheliegend, sondern erfinderisch ist.

Die Abhilfe aus dem US-Recht, daß bei means + function Ansprüchen mindestens Äquivalenz zum Ausführungsbeispiel vorliegen muß, haben wir weder im deutschen Gesetz noch in Art. 69 EPÜ.

Im deutschen Recht müssen wir wenigstens etwas Abhilfe dadurch schaffen, daß wir uns im Rahmen der Auslegung vorsichtig von der Bindung an den Wortlaut freimachen. Das erlaubt einmal der Grundsatz, daß die Auslegung nicht philologisch, sondern technisch zweckgerichtet zu erfolgen hat. Das entspricht zum anderen der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA. In der Entscheidung Blockpolymer/JSR lautet der amtliche Leitsatz 1:

"Weist die Beschreibung bei richtiger Auslegung ein Merkmal als übergeordnetes Erfordernis der Erfindung aus, so können nach Art. 69 Abs. 1 EPÜ und dem zugehörigen Protokoll die Ansprüche als dieses Merkmal enthaltend ausgelegt werden, auch wenn der Wortlaut der Patentansprüche für sich genommen nicht ausdrücklich ein solches Merkmal nennt."

In der Entscheidung Trichloräthylen/WACKER wird ausgeführt,

da Art. 84 kein Einspruchsgrund sei, seien die Ansprüche einschränkend aus der Beschreibung dahin auszulegen, daß die im Anspruch genannten hydroxylgruppenfreie Ether keine Epoxide enthalten dürfen und bestimmte andere Bestandteile nicht nur alternativ, sondern kumulativ enthalten sein müssen.

Die Auslegung unter den philologischen Wortlaut eröffnet auch der BGH in "Tetraploide Kamille", weil der Anspruch mit seinem Mindestgehalt vielleicht nicht alles über dem Minimum, sondern nur bis zur praktisch erreichbaren Höchstmenge von 450 umfasse, nicht aber den biologisch denkbaren Maximalwert von 600. Damit haben wir zwar in Deutschland einen höchstrichterlichen Beleg für eine Interpretation unter den philologischen Wortlaut bei Ansprüchen unbestimmter Weite ("mindestens", "höchstens"), nicht aber für die korrigierende Auslegung bei Ansprüchen definierter Weite (z.B. "nicht menschlicher Säuger" in Harvard/Krebsmaus").



VI. Schluß

Es bleibt somit ein schwer zu bewältigendes Problem, daß Patente mit zu weiten Ansprüchen erteilt werden können. Und es ist das Verdienst der neueren EPA-Entscheidungen, über Art. 83 EPÜ Wege eröffnet zu haben für eine spätere Korrektur des Fehlers.


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